Oktoberfest

Eine Oktoberfest-Bedienung packt aus: So geht's wirklich zu auf der Wiesn!

Es ist das größte Volksfest der Welt: das Oktoberfest in München. Die größten Zelte fassen über 10.000 Besucher:innen. Wir haben mit einer Ex-Wiesn-Bedienung über ihre 39 Jahre auf dem Fest gesprochen.

Interview Oktoberfest-Bedienung
O'zapft is! Und dann geht es für die Bedienung für über zwei Wochen non-stop an die Arbeit Foto: IMAGO / Wolfgang Maria Weber
Auf Pinterest merken

Wer einmal in einem der großen Festzelte des Münchener Oktoberfestes war, weiß, warum vor den Bedienungen jede:r den Hut zieht. Sie arbeiten für den gesamten Zeitraum der Wiesn jeden Tag von Anfang bis Ende, stemmen die schweren Maßkrüge durch die Massen und müssen mit jeglichen Arten von Besucher:innen klarkommen.

Auch interessant:

*Affiliate Link

Franziska ("Fanny") Neukäufer war fast 40 Jahre eine von ihnen. Wir haben mit ihr über ihre ersten Jahre als Bedienung, die Finanzen und den Umgang mit betrunkenen Gästen gesprochen.

Männersache: Liebe Fanny, wie viele Jahre hast du auf dem Oktoberfest bedient?

Franziska "Fanny" Neukäufer: Ich war 39 Jahre auf der Wiesn. Ich hatte eine Bekannte, die jedes Jahr dort bedient hat und zu den Gästen immer nur gesagt hat 'Wos mogstn' oder 'Wos kriegstn'. Sie war so barsch – eine richtige Niederbayerin eben. Und dann dachte ich mir, wenn sogar sie Geld mit nach Hause bringt, dann kann ich das auch. Mit ihrer unmöglichen Art hat sie mich animiert.

Männersache: Wie war dein erstes Jahr für dich? Wusstest du, worauf du dich einlässt?

Franziska "Fanny" Neukäufer: Naja, also das erste Jahr war schon ein bisschen turbulent. Ich habe davor noch nie in meinem Leben einen Maßkrug getragen. Als es dann also losging, habe ich mich an der Schenke angestellt, ich war zuständig für sechs Tische. Eigentlich ist es schlau, sich schon eine halbe Stunde vor Anstich an die Schenke zu gehen, aber das wusste ich ja nicht. Sonst kann es schon mal 15 Minute dauern, bis man drankommt und die Leute warten natürlich schon. Dann geht man an die Tische hin, die ersten freuen sich, wenn sie ihr Bier bekommen, und so geht man weiter. Jedes Mal eine Viertelstunde warten. Am ersten Tag hat es also schon eine Stunde gedauert, bis alle überhaupt mal ihr Bier hatten. Dazu kam auch, dass ich damals nur sechs oder sieben Maß tragen konnte. Das ist aber nie wieder vorgekommen.

Männersache: Wie hast du es geschafft trotzdem durchzuhalten?

Franziska "Fanny" Neukäufer: Was mein Vorteil war, dass es sechs Ehepaare waren, die mich nett fanden und gesagt haben: 'Madl, des kriag ma scho hi'. Einer hat dann also immer aufgeschrieben, wenn jemand ein Bier gehabt hat oder wenn jemand etwas zum Essen gehabt hat. Ich musste also immer nur sagen 'Peter, der Alfred hat a Bier' und er hat immer mitgeschrieben. Er war 'ein Hunderprozentiger'. Und so musste ich da nicht jedes Mal kassieren. Das waren meine ersten Wiesn-Gäste und die haben mich zwanzig Jahre begleitet.

Männersache: Also im ersten Jahr musstest du dich schon ein wenig durchkämpfen.

Neukäufer: Ja schon. Wie gesagt bin ich am ersten Tag dann also immer mit nur sechs oder sieben Maß gelaufen. Am Abend sagte dann ein Gast zu mir: ‚Bringen sie der Kapelle so viel Bier nach oben, wie sie tragen können‘. Ich mir gedacht, wenn ich jetzt mit sieben Maß oben ankommen, dann lachen die mich alle aus. Also bin ich mit zehn Maß über 15 Treppen nach oben gegangen. Eine steile Treppe und am ersten Tag ist man ja noch nervös, denkt, wenn man ein paar Tropfen verschüttet ‚scheißen die di zam‘. Als ich es mit einem roten Kopf dann geschafft habe und die Biere bezahlt wurden, obwohl ein bisschen was verschüttet wurde, war ich so stolz auf mich. Danach habe ich oft zehn Maß getragen und mit der Zeit gerne zwölf.

Aber das erste Fest war vor allem einfach schön. Ich war traurig, als es vorbei war.

Franziska Neukäufer
Zwölf Maß waren bald kein Problem mehr Foto: Franziska Neukäufer

Männersache: Sonst hättest du es ja vermutlich auch nicht noch mal gemacht.

Neukäufer: (lacht) Genau. Vier Jahre habe ich es dann also alleine gemacht. An den Tischen neben meinen hat eine aus München bedient. Sie hat dann aufgehört und der Platz neben mir war also frei. Ich habe dann meine Freundin Margit gefragt, ob sie nicht Lust hätte. 35 Jahre haben wir dann gemeinsam bedient.

Männersache: Du hast vorab schon gesagt, dass du nicht über dein Einkommen als Wiesn-Bedienung sprechen möchtest. Warum?

Neukäufer: Über das Geld habe ich nie gesprochen. Nicht mal meine Tochter weiß, was ich verdient habe. Aber wenn ich Unsummen verdient hätte, dann hätte ich es nicht so lange machen brauchen. (lacht)

Männersache: Apropos Finanzen: Weißt du noch, was damals eine Maß Bier gekostet hat?

Neukäufer: 4,75 Mark hat die Maß gekostet. Der damalige Festwirt im Armbrustschützenzelt hat bei der Besprechung gesagt ‚Meine Madln, s’Bier kostet 4,75 Mark, koine fünf‘. Wir sollten die 25 Pfennig also immer rausgeben.

Männersache: Aber sag mal; nach zwei Wochen jeden Tag den ganzen Tag auf den Füßen und das mit vermutlich ziemlich wenig Schlaf: Danach braucht man ja erst mal Urlaub, oder?

Neukäufer: Schön wär‘s. Man kommt danach heim und hat einen Haufen dreckige Wäsche Daheim liegt der Keller auch noch voll mit Wäsche. Am Montag habe ich zwar erst mal bis Mittag geschlafen, aber am Dienstag musste ich dann schon wieder angreifen. Trotzdem war die erste Woche nach der Wiesn einfach langsam.

Viele Jahr habe ich auch in Augsburg bedient und musste am Donnerstag nach Wiesn-Ende in Gersthofen bei der Kirchweih schon wieder das Zelt einräumen. Am Freitag ging es dann wieder für zehn oder elf Tage los. Danach war aber Winter.

Männersache: Du hast ja fast 40 Jahre auf dem Oktoberfest bedient. Gab es trotzdem etwas, was dich immer gestört hat?

Neukäufer: (Überlegt einige Sekunden) Also, ich glaube gestört hat mich nichts. Oktoberfest war einfach was ganz anderes.

Männersache: Inwiefern?

Neukäufer: Also wenn ich auf Volksfesten wie dem in Gersthofen bedient habe, dann wo dort alles so heimelig. Wiesn war München – Wiesn war einfach was Besonderes. Man kann das nicht beschreiben. Man geht in das Bierzelt rein und man sieht die Kolleginnen, die man das ganze Jahr nicht gesehen hat und sagt nur: ‚Mei, Griaß di! Wie wenns gestern gwesn wär, wie wenn mer gestern erst ausm Zelt raus wärn.‘

Männersache: Bestimmt haben aber auch damals schon einige Gäste einen über den Durst getrunken. Wie bleibt man denn ruhig, wenn um einen herum alle irgendwann betrunken sind?

Neukäufer: Also, wenn sie von mir betrunken waren, dann habe ich oft schon nach der dritten Maß, gerade wenn es Jüngere waren, gesagt: ‚Du, jetzt trinkst a mal an Spezi.' Und wenn es ihnen dann besser ging, haben sie wieder ein Bier bekommen. Oder ich habe ihnen gesagt, sie sollen ein Wasser trinken. Und vor mir hatten immer alle Respekt. Ich bin 1,72 Meter groß und habe einfach eine gewisse Figur. Wenn ich das gesagt habe, dann war das so.

Meine Kollegin Margit ist klein und wenn sie was gesagt hat, wurde sie ausgelacht. Wenn sie an einen Tisch noch zwei Personen dazusetzen wollte, haben die Gäste gesagt, dass das nicht gehen würde. Wenn ich das gesagt habe, hat sich niemand getraut zu widersprechen.

Männersache: Anders tut man sich als Bedienung wahrscheinlich auch schwer, oder?

Neukäufer: Ja, schon. Gestern war ich zum Beispiel privat auf der ‚Oiden Wiesn‘. Wir hatten einen Platz, saßen bei anderen Leuten und dann kam jemand, der auch schon ein Bier hatte und der gefragt hat, ob er sich dazusetzen dürfe. Ich habe gesagt: ‚Wennst uns ned anquatschtst und anständig bist, dann ja.' Und du, der war superbrav. Der Ton muss einfach stimmen.

Männersache: Hast du dieses Selbstbewusstsein erst über die Jahre bekommen oder hattest du das von Anfang an?

Neukäufer: Also wenn einem am Anfang jemand blöd gekommen ist, dann geht man vor das Zelt, heult kurz, geht wieder rein und hat wieder Kraft. Das Schlimmste ist, wenn die Leute so unverschämt-frech werden. Aber gerade die letzten Jahre hat damit keiner eine Chance bei mir gehabt.

Männersache: Was ist denn das Wichtigste, wenn man frisch anfängt auf der Wiesn zu bedienen?

Neukäufer: Keinen Alkohol zu trinken. Klar, wir haben auch mal einen Schluck Radler getrunken, aber man kommt ohnehin nicht oft zum Trinken. Es war ganz oft so, dass ich schon zehn Tage im Zelt war und gar nicht wusste, wie das Bier schmeckt. Ich hatte immer eine Kirschschorle und Margit Cola – so sind wir durch den Tag gekommen.

Männersache: In all den Jahren hat sich das Oktoberfest auch verändert. Du hast von 1981 bis 2019 die Veränderungen hautnah mitbekommen. Was waren die größten Unterschiede?

Neukäufer: Man wachst die ganzen Jahre mit dem Fest mit. Es gibt immer wieder Veränderungen, die man hinnehmen muss, aber im Laufe der Jahre bekommt man viele Stammgäste, die einem wirklich den Rücken stärken. Man freut sich einfach jedes Jahr diese Leute wiederzutreffen.

Männersache: Also keine Veränderungen, die dich genervt haben?

Neukäufer: Ach, nö! Auf der Wiesn wurde mir jeder Schritt bezahlt. Wenn ich daheim bin und putze, ist das selbstverständlich. So muss man das sehen und dann macht die Arbeit auch Spaß. Man muss sich das selbst schmackhaft machen, dann glaubt man das auch.

Männersache: War es am Ende schwer für dich aufzuhören?

Neukäufer: Nein. 2019 hat die Wiesn noch ganz normal stattgefunden und mein Mann war bereits sehr krank. Er hat in der ersten Woche angerufen und erzählt, wie schlecht es im geht. Ich habe versprochen, dass ich nächstes Jahr nicht mehr gehe. Das habe ich dann Margit gesagt und sie meinte, dass sie nicht noch mal jemanden findet, mit dem sie so ein gutes Team bildet und dass sie dann auch nicht mehr gehen würde. Anschließend haben wir es auch den Stammgästen erzählt. Als unsere Chefin das mitbekommen hat, hat sie mich an der Hand gepackt und gesagt, dass wir immer eine Stütze und ein Vorbild gewesen sind.

Am letzten Sonntag hat uns der Personalchef um sieben Uhr in sein Büro bestellt. Wir dachten, wir bekommen Ärger. Aber wir bekamen eine Ansprache und eine silberne Kette mit einem Medaillon. Als Dankeschön für die 31 Jahre in diesem Zelt.

Männersache: Ich welchem Zelt wart ihr denn?

Neukäufer: In der Ochsenbraterei.

Männersache: Und dann?

Neukäufer: Am letzten Abend ist die Chefin wie jedes Jahr auf die Bühne, um sich bei den Köchen, bei der Security, bei den Bedienungen und bei denen am Ausschank zu bedanken. ‚Aber besonders bei Fanny und Margit, die uns heute nach 31 Jahren verlassen‘, hat sie gesagt. Und dass sie hoffe, dass wir trotzdem kommen und sie besuchen würden.

Männersache: Also wenn ihr jetzt in die Ochsenbraterei kommt, ist es …?

Neukäufer: … wie Heimat.

Liebe Fanny, wir bedanken uns für das Gespräch.