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Schuld & Sühne: Für mehr Nachhaltigkeit in der Modewelt

Die Modeindustrie, allen voran die Fast-Fashion-Riege, ist ein Sündenpfuhl. Das ist übel, muss aber nicht notwendigerweise so sein.

Junge Menschen in Kleidung aus Plastik
Die Modeindustrie auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit (Symbolbild) Foto: Adobe Stock
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Der Ursprung des ganzen Problems ist viele 1.000 Jahre alt und liegt darin begründet, dass aus der reinen Notwendigkeit, Kleidung zu tragen, um sich vor Umwelteinflüssen zu schützen, ein Mittel zur Selbstdarstellung wurde. Schon Ötzi trug Kupferbeil und Bärenfellmütze nicht nur aus rein pragmatischen Gründen.

Edle Felle als Statussymbol sind heute zwar verpönt, doch klebt so viel Schmutz am Rocksaum der Modeindustrie, dass man im Durcheinander die einzelnen Probleme aus den Augen verliert. Die Greenwashing-Brille verschlimmert die Situation.

Was also tun?

3 Tipps für einen nachhaltigeren Kleiderschrank

  • Qualität wertschätzen: Hochwertige Stücke kaufen und sie lange tragen, reparieren, recyceln.

  • Alternativ shoppen: Leihen statt kaufen, Secondhandläden und Onlineangebote nutzen, faire Labels bevorzugen.

  • Mindset checken: Mag, brauch, will ich das? Den Konsumzwang abschütteln und den Kopf frei machen für das, was zählt.

Fast Fashion ist ...

Recycling-Schwindel

Nur ein Viertel der in Deutschland gesammelten Altkleider wird recycelt: Die Stoffe werden zumeist geschreddert und zu Putzlappen oder Isolier- und Füllstoffen verarbeitet.

Überproduktion

Rund 200 Milliarden Kleidungsstücke wurden im Jahr 2020 weltweit hergestellt (etwa doppelt so viele wie im Jahr 2014!), verkauft nur 160 Milliarden.

Müll

In Europa werden jährlich 5,8 Millionen Tonnen Kleidung weggeworfen. 75 Prozent davon enden auf der Müllkippe oder werden verbrannt.

Wasserverschwendung

Der hohe Verbrauch beim Baumwollanbau führte u. a. zum Austrocknen des Aralsees.

Konsumreiz

Durchschnittlich 60 Kleidungsstücke kauft ein Deutscher im Jahr, nur etwa die Hälfte davon wird regelmäßig getragen.

Billionen-Business

Der Absatz von Kleidung hat sich zwischen 2002 und 2015 fast verdoppelt - von einer Billion auf 1,8 Billionen US-Dollar. Bis 2025 wird mit einem weiteren Anstieg auf 2,1 Billionen US-Dollar gerechnet.

Artensterben

Ca. 25 Prozent des weltweiten Insektizidmarkts und ca. 10 Prozent des Pestizidmarkts entfallen auf den Baumwollanbau.

Giftcocktail

Insgesamt 6.500 verschiedene Chemikalien sind bei der Textilveredelung im Einsatz, darunter auch Schwermetalle wie Kupfer, Arsen und Cadmium.

Importware

Ca. 90 Prozent der in Deutschland gekauften Bekleidung kommt nicht aus Deutschland, sondern zum größten Teil aus China, der Türkei und Bangladesch.

Kinderarbeit

In Asien, Hauptexporteur für Textilien, arbeiten geschätzt 62 Millionen Kinder unter ausbeuterischen Bedingungen.

Ressourcenfraß

Ca. 0,8 Prozent des derzeit geförderten Erdöls werden jährlich als Rohstoff für Kunststofftextilien verbraucht.

Meeresverschmutzung

35 Prozent des Mikroplastiks in den Weltmeeren stammt von synthetischen Textilfasern.

Neue Impulse

Expertin Thekla Wilkening über ihren "überraschenden Wegweiser zu mehr Nachhaltigkeit" - weit über den Modesektor hinaus

Thekla Wilkening
Thekla Wilkening: Autorin und Expertin für Nachhaltigkeit in der Modeindustrie Foto: Thekla Wilkening

FREEMEN'S WORLD: Was hat die Bio-Pizza mit dem Modemarkt zu tun?

Thekla Wilkening: "Für die Mode gilt wie für die Bio-Pizza und alle Konsumprodukte: Wir sind in einer Welt angekommen, in der wir den gesellschaftlichen Druck spüren, perfekte Konsumenten zu sein. Neoliberal bedeutet das, viel zu konsumieren, denn Wirtschaftswachstum bringt Wohlstand für alle. In der Nachhaltigkeitsdebatte bedeutet es, keine klimaschädlichen Produkte mehr zu kaufen.

Die Industrie greift diese Trends auf und präsentiert uns jetzt Produkte, die scheinbar die Lösung sein sollen. Wenn wir aber genau hinschauen, stellen wir fest, dass das Angebot oft nur einen winzigen Teil des Gesamtportfolios von riesigen Konzernen ausmacht, die Inhaltsstoffe gar nicht alle biologisch sind oder für die Produktion keine fairen Löhne gezahlt wurden. Wir werden Opfer von Greenwashing, stehen vor undurchsichtigen Siegel-Dschungeln oder uns fällt auf, dass die fairen Produkte wesentlich teurer sind als die konventionellen.

Das sind, in der Mode und bei der Pizza, die Hürden, die den Wandel verhindern."

FREEMEN'S WORLD: Bio, fair, vegan oder besser gleich leihen statt kaufen - wie lautet die Lösung für unser "Konsumproblem"?

Thekla Wilkening: "Es gibt ihn nicht, diesen einen perfekten Weg. Einige Dinge sind klimaschädlich, darüber lässt sich nicht mehr diskutieren und diese sollten von allen Menschen gemieden werden, beispielsweise tierische Produkte aus Massentierhaltung, Kurzstreckenflüge oder Einwegplastik.

Darüber hinaus ist es relevant, sich den eigenen Lebensstil bewusst zu machen und zu schauen, wo das größte Veränderungspotenzial liegt. Wir können nicht alles auf einmal angehen und es ist wichtig, die Kräfte dort einzusetzen, wo sie am stärksten wirken können. Kaufe ich viel Kleidung, dann ergibt ein Abo bei einem Modeleihservice natürlich mehr Sinn, als wenn ich wenig kaufe und die Stücke ewig trage."

FREEMEN'S WORLD: Was muss sich langfristig ändern?

Thekla Wilkening: "Es braucht definitiv mehr politische Regularien, national, auf EU-Ebene und global. Zu erwarten, dass die großen Konzerne ihre Geschäftspraktiken für die Rettung der Erde ändern, ist naiv, nicht weil es den einzelnen Mitarbeitern nicht wichtig ist, aber weil die Prozesse in der Regel so festgefahren sind, dass sich kaum etwas bewegt.

Lieferkettengesetze, Regeln zur erweiterten Produktverantwortung, Reparaturpflichten - all das sind Gesetze, die auf den Weg gebracht werden müssen, damit Konzerne sich bewegen müssen und es für Konsumenten transparent und leicht ist, die richtigen Entscheidungen zu treffen."

Autorin: Alexandra Turner

Quellen: Umweltbundesamt ; Greenpeace ; Kinderhilfswerk Eine Welt e. V. ; FEMNET