World Mental Health Day

An Depression erkrankt, was nun? Depridisco gibt Antworten im Exklusiv-Interview

Zum World Mental Health Day haben wir verschiedene CreatorInnen zu ihren persönlichen Erfahrungen mit Stereotypen, Erwartungshaltungen und Leistungsdruck befragt. Hier gibt die Betroffene Eva alias Depridisco wertvolle Tipps zum Umgang mit Depressionen.

Mann am Fenster
Depridisco äußert sich zu Depressionen (Themenbild) Foto: iStock / Peopleimages, Collage / bearbeitet durch Männersache
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Männersache x Instagram: World Mental Health Day

Der World Mental Health Day findet seit 1992 jedes Jahr am 10. Oktober statt und dient dazu, Aufmerksamkeit für die Bedeutung mentaler Gesundheit zu schaffen. Gemeinsam mit Instagram und verschiedenen CreatorInnen möchte Männersache wichtigen Themen wie Body Positivity, Achtsamkeit, Entschleunigung bei der Arbeit, Depressionen, Selbstliebe und neue Männlichkeitsbilder Gehör verleihen. Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe sind jährlich ca. 5,3 Millionen Deutsche von Depressionen betroffen, weshalb uns eine nachhaltige Auseinandersetzung mit den Aspekten psychischen Wohlbefindens sehr am Herzen liegt.

Auch Eva liegt das Thema der mentalen Gesundheit am Herzen. Unter dem Namen Depridisco berichtet sie als Betroffene offen und kreativ über ihre Erfahrungen mit Depressionen. Im Gespräch mit Männersache erzählt sie, was ihr selbst im Umgang mit ihrer Erkrankung hilft, welche Hilfsangebote Betroffenen zur Verfügung stehen und was sich ihrer Meinung nach in unserer Gesellschaft ändern muss, damit weniger Menschen mit Depressionen zu kämpfen haben.

Interview mit Depridisco

Männersache: Eine Depression ist eine ernste Sache. Wie erkenne ich, dass ich an einer leide?

Depridisco: "Depressionen können sich sehr individuell äußern. Generell besagen die Kriterien des internationalen Klassifikationssystems ICD-10, dass wenn ihr euch länger als zwei Wochen niedergeschlagen und bedrückt fühlt, antriebslos seid und an kaum etwas mehr Lust oder Freude habt, könnte eine Depression vorliegen. Als Nebensymptome kommen je nach Schwere der Depression auch Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, unbegründete Schuldgefühle, negative Zukunftsideen oder sogar auch Suizidgedanken auf. Es heißt, dass es bei Männern auch vermehrt zu Aggressionen und stärkerer Reizbarkeit kommen kann und viele berichten über ihre Depression, dass sie sich wie ein bleischweres Schweben anfühlt.

Mir persönlich passiert es, dass ich mich absolut nicht mehr liebenswert und nicht gut genug fühle – in allen Bereichen meines Lebens. Ich ziehe mich sozial sehr zurück, weil ich das Gefühl habe, allen zu viel zu sein, und versuche dann, meine Stimmung vor anderen möglichst zu verstecken. Das kostet regelmäßig sehr viel Kraft. Ich komme in meinen depressiven Episoden kaum aus dem Bett und schaffe es auch nicht, ans Telefon zu gehen oder Nachrichten zu beantworten. Und ich bin dann sehr streng mit mir und sehe nur sehr ungerne ein, dass ich wieder an einem Punkt bin, an dem ich Hilfe brauche.

Es gibt im Netz viele Informationsangebote und Fragebögen, die helfen können, eine Depression zu erkennen. Final kann das aber nur ein Arzt/eine Ärztin oder ein*e Psycholog*in diagnostizieren."

Männersache: Wenn die Diagnose feststeht: Wie hole ich mir Hilfe, an wen wende ich mich zuerst, wer hilft mir am besten weiter?

Depridisco: "Am allerbesten ist es, wenn ihr euch zunächst jemandem anvertrauen könnt, der/die euch dabei unterstützt, die nächsten Schritte zu gehen. Ganz wichtig ist: Druck rausnehmen. Viele Betroffene gehen trotz völliger Erschöpfung immer noch zur Arbeit, funktionieren weiter, bis irgendwann gar nichts mehr geht. Am besten lasst ihr euch also zunächst vom Hausarzt/der Hausärztin krankschreiben.

Und dann gibt es mehrere Möglichkeiten, je nach Schwere der Depression. Mit Suizidgedanken solltet ihr euch auf jeden Fall so schnell wie möglich in eine Klinik einweisen, um bestmöglich stabilisiert zu werden. Wenn ihr nicht gerne in ein Krankenhaus möchtet und euer Zustand 'aushaltbar' ist, könnt ihr auch den ambulanten Weg wählen. Bei mittelschweren bis schweren Depressionen hat sich die Kombination aus Psychotherapie und Antidepressiva bewährt, wobei ich mit Letzterem sehr vorsichtig wäre.

Bei der Psychotherapie-Suche braucht man heutzutage leider einen sehr langen Atem, deshalb ist meine Empfehlung: Wartet nicht, bis es euch so rrrichtig, richtig beschissen geht, denn die Wartezeiten für einen Therapieplatz sind leider echt lang. Wenn ihr euch irgendwie mit den oben genannten Symptomen identifizieren könnt, aber jetzt denkt 'Ach, ich bin doch gar nicht krank genug, um einen Therapieplatz verdient zu haben' oder 'Ach, so schlimm ist es doch gar nicht', ermutige ich euch, noch mal ganz genau hinzufühlen. Oft sind wir nämlich Meister*innen der Verdrängung und hängen schon tiefer drin, als uns lieb ist. Im Schnitt brauchen Erkrankte ganze elf Monate, bis sie einsehen, dass sie Hilfe brauchen und das ist ganz schön gefährlich."

Männersache: Stehe ich mit dieser Erkrankung allein da? Oder gibt es beispielsweise Selbsthilfegruppen? Falls ja, wie nehme ich Kontakt auf?

Depridisco: "Nein, man steht absolut nicht alleine da! In Deutschland sind jährlich etwa 5,3 Millionen Menschen an einer Depression erkrankt – das ist eine ganze Menge! Wir sind also absolut nicht allein. Diese doofe Krankheit lässt uns nur leider oft genauso fühlen. In vielen Städten und Gemeinden gibt es Selbsthilfegruppen, die man per E-Mail oder Telefon kontaktieren kann.

Auch im Netz gibt es viele virtuelle Selbsthilfe-Angebote und hilfreiche Apps. Ich kann euch ein paar sehr empfehlen: 1. selfapy – ein Online-Programm für psychische Krisen 2. MoodPath (bald MindDoc), mit dem ihr eure Stimmung tracken könnt und wertvolle Tipps zum Thema Depression und psychische Belastungen bekommt, und 3. 7Mind – eine Meditationsapp, die helfen kann, um das Gedankenkarussell etwas zu verlangsamen und innere Vorgänge besser wahrnehmen zu lernen.

Social-Media-Plattformen wie Instagram sind ja eigentlich eher als oberflächliche Medien verschrien, tatsächlich gibt's aber auch dort eine sehr feine Mental Health Bubble, in der es viel Austausch gibt und man sofort das Gefühl hat, dass man nicht alleine ist. Am aller wichtigsten ist jedoch, dass ihr euch professionelle Hilfe bei Psychotherapeut*innen oder in Akutkliniken sucht."

Postkarte von Depridisco
Foto: Depridisco

Männersache: Wie kann ich mein Umfeld (Familie, Freunde, Bekannte etc.) für meine Krankheit sensibilisieren?

Depridisco: "Ich persönlich habe sehr oft die Erfahrung gemacht, dass mein offener Umgang mit meiner Depression Neugier und auch Hilfsbereitschaft ausgelöst hat. Dadurch haben sich viele innige und wertschätzende Gespräche ergeben. Außerdem ist es immer wieder erstaunlich, wie viele Leute mir mitgeteilt haben, dass sie auch schon mal Probleme damit hatten, oder jemand im engen Familien- oder Freundeskreis kennen, der/die betroffen ist.

Es gibt jedoch leider auch Personen, die absolut nicht sensibel für das Thema sind und mit dieser unsichtbaren Krankheit gar nichts anfangen können. Wenn ihr euch stark genug fühlt, könnt ihr versuchen, offen über eure Gedanken und Probleme zu sprechen. Solltet ihr aber das Gefühl haben, dass es das nicht besser macht, würde ich eher davon abraten, sich damit zusätzlich zu belasten.

Wichtig zu sagen ist, dass die Depression eine schwere Krankheit ist und nicht einfach nur eine 'traurige Phase' oder eine 'Befindlichkeitsstörung'. Man kann sich nicht einfach positivere Gedanken machen, oder sich mehr zusammenreißen und dann ist es gut. So funktioniert das leider nicht."

Männersache: Sind Antidepressiva ein Allheilmittel oder doch nur weitere Pillen, die man schluckt? Was gibt es dabei zu beachten?

Depridisco: "Weder noch! Natürlich sind Antidepressiva kein Allheilmittel. So sehr es sich unsere Gesellschaft wünscht, aber es gibt nicht 'die' eine Pille gegen alle Probleme. Trotzdem sind sie auch nicht einfach 'nur weitere Pillen, die man schluckt'. Das Thema Antidepressiva ist vermutlich noch mal ein separates Interview wert, denn das Thema ist sehr groß und kontrovers.

Es ist eben nicht alles immer schwarzweiß. Ich selbst habe sieben Jahre lang verschiedene Antidepressiva genommen und sie zeitweise auch als sehr hilfreich empfunden. Leider lies die Wirkung irgendwann nach und aktuell kämpfe ich sehr, um ohne Medikamente weiterleben zu können.

Ich denke, dass man das immer in Relation zu den Krankheitssymptomen sehen sollte. Hat man suizidale Gedanken und kommt alleine so gar nicht aus dem Loch heraus, sollte man sich gut überlegen, Medikamente zu nehmen, um überhaupt therapiefähig zu sein. Ihre Wirksamkeit ist teilweise erwiesen und es gibt sehr viele Betroffene, die sehr dankbar für die Antidepressiva sind.

Dennoch glaube ich, dass Ärzt*innen oft viel zu schnell ein Rezept ausstellen, ohne ausführlich über die Nebenwirkungen und Langzeitfolgen zu informieren. Generell habe ich die Erfahrung gemacht, dass man es als Akutmedikation für ca. ein gutes Jahr nehmen kann, als Langzeitmedikation hat es in meinem Fall jedoch dazu geführt, dass ich trotzdem wieder depressiv wurde und die Dosis irgendwann nicht mehr höher geschraubt werden konnte.

Ganz wichtig ist: Antidepressiva sollte man niemals alleine – ohne Psychotherapie – einnehmen. Sie sind Begleiter – Krücken, die den Genesungsprozess beschleunigen können –, aber schaffen es niemals ganz alleine, die Depression zu beseitigen."

Männersache: Bin ich selbst völlig hilflos oder kann ich mich auch selber beim Heilungsprozess unterstützen? Falls ja, wie?

Depridisco: "Sicherlich kann man da vieles tun, dabei sollte aber kein Handlungsdruck entstehen. Wenn du nicht aufstehen kannst, um zum Sport zu gehen, kannst du nicht aufstehen, auch wenn das vielleicht hilfreich wäre. Am allerwichtigsten im Genesungsprozess ist es, geduldig mit sich selbst zu sein. Es wird eines Tages wieder besser werden – eine Depression kann abklingen und heilen. Bis es so weit ist, kann es jedoch eine Weile dauern und das mag sich zeitweise unendlich lange anfühlen.

Was mir sehr geholfen hat, war die Psychoedukationsgruppe, die in meiner Psychiatrie angeboten wurde. Das war wie so eine Art theoretischer Fahrschulunterricht für die Depression. Man lernt dort, wo die Krankheit anfängt, was die Symptome sind und wie man diesen begegnen kann. Man ist z. B. nicht einfach nur 'faul', wenn man unter Antriebslosigkeit leidet, sondern krank! Diesen kleinen feinen Unterschied zu kennen, hat mir sehr geholfen, mich nicht völlig fertig zu machen, denn lange Zeit dachte ich, dass ich einfach nur einen miesen Charakter habe.

Es kann passieren, dass man sich und seinen Körper in einer depressiven Episode vernachlässigt. So kann es sein, dass ihr euch immer schlechter ernährt, was eine zusätzliche Erschöpfung hervorrufen kann. Ein Bluttest hat mir vor Kurzem gezeigt, dass ich nährstofftechnisch sehr ausgelaugt bin und seit ich da nachhelfe, geht es mir deutlich besser.

Ansonsten ist es auch sehr hilfreich, dass man sich eine Tagesstruktur aufbaut, damit man nicht völlig versumpft. Auch hier gilt jedoch – bitte keinen Druck aufbauen. Was nicht geht, geht nicht. Solche Strategien könnt ihr auch super gemeinsam mit eurer Therapeutin/eurem Therapeuten erarbeiten."

Postkarte von Depridisco
Foto: Depridisco

Männersache: Wie müsste sich die Gesellschaft verändern, um Betroffene besser zu unterstützen?

Depridisco: "Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich mich, seit ich depridisco betreibe, auch am Diskurs beteilige, oder ob es generell ein größeres Bewusstsein für mentale Gesundheit gibt. Anhand der Zahlen von Menschen, die sich in Therapien begeben, denke ich aber, dass die Offenheit in der Gesellschaft dafür generell wächst und das gar nicht mehr so das größte Problem ist.

Dennoch muss noch sehr, sehr viel passieren, damit wir – selbst im so gut entwickelten und im Vergleich zu anderen Ländern fast schon luxuriösen Deutschland – alle gut versorgt sind. Im Zuge der Coronakrise wird sich der Bedarf an Psychotherapie vermutlich noch weiter verschärfen. Es wäre deshalb super wichtig, wenn sich die Politik für mehr Kassensitze für Psychotherapien einsetzen würde.

Psychotherapeut*innen machen eine schweineteure Ausbildung, um dann in ein sehr ineffizientes Gesundheitssystem zu gelangen, wo sie erst mal nur privat behandeln können. Mich würde es nicht wundern, wenn angehende Psycholog*innen irgendwann keine Lust mehr auf dieses System haben und sich beruflich anderweitig orientieren.

Und für Patienten ist eine Wartezeit von drei bis fünf Monaten auf einen Therapieplatz natürlich auch total unterirdisch. Denn Depressionen heilen am besten, wenn man sie schnell erkennt und behandelt. Da ist auf jeden Fall noch sehr viel Luft nach oben.

Auch im Arbeits- und Leistungskontext gibt es noch viel zu tun. Wir müssen aufhören, uns mit Überstunden zu profilieren und unseren Selbstwert an unserer Arbeit und Leistungsfähigkeit zu messen."

Männersache: Gibt es präventive Maßnahmen, die man nutzen kann, bevor es zu einer Depression kommt? Falls ja, welche?

Depridisco: "Generell kann eine Depression jeden treffen – selbst die glücklichste und zufriedenste Person –, denn sie entsteht nicht nur aufgrund von äußeren Umständen. Sie ist in Teilen auch vererbbar und kann 'einfach so' ausbrechen, ohne dass es einen Auslöser oder eine schwierige Kindheit dafür gegeben haben muss.

Eine hilfreiche Methode, um die Erkrankung möglichst früh zu erkennen, ist die Meditation. Mit ihr lernt man, achtsamer mit sich selbst zu sein und eine Krise frühzeitig zu erkennen. Und, wer in der Abwärtsspirale nicht erst bis ganz nach unten rutscht, hat natürlich deutlich bessere Chancen, schneller wieder gesund zu werden."

Männersache: Man sagt, es kann grundsätzlich jeden treffen. Stimmt das?

Depridisco: "Ja, das stimmt."

Männersache: Vielen Dank für das Gespräch!