Welt der Wunder

Können 1,2 Billionen Bäume das Klima retten?

Sie filtern Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre und produzieren wertvollen Sauerstoff. Bäume sind unsere beste Chance, den Klimawandel aufzuhalten. Das Problem: Man braucht viele Bäume – sehr viele Bäume …

Wald, durchflutet von Sonnenlicht
Wald, durchflutet von Sonnenlicht Foto: iStock / jotily
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Können 1,2 Billionen Bäume das Klima retten?

Es ist eine koordinierte Aktion. Am 29. Juli 2019 werden in Äthiopien 353 Millionen Bäume gepflanzt. Alle Staatsbediensteten haben an diesem Tag frei, um Löcher auszuheben, die Setzlinge von Lastwagen zu holen und sie einzugraben. Nach nur zwölf Stunden ist es geschafft – Weltrekord: Nie zuvor wurden in so kurzer Zeit so viele Bäume gepflanzt. Und das ist erst der Anfang. Das Binnenland am Horn von Afrika will noch bis Ende der Regenzeit, also bis Oktober, insgesamt vier Milliarden Bäume pflanzen.

"Äthiopien soll wieder grün werden", sagt Ministerpräsident Abiy Ahmed. Das Wort "wieder" trifft es dabei ziemlich gut. Noch vor 100 Jahren war Äthiopien zu 35 Prozent bewaldet, heute sind es gerade mal vier Prozent. Die Menschen kämpfen immer öfter und aussichtsloser gegen lange Dürren, gegen die Verwüstung des Bodens und schwere Fluten. Die Aufforstung soll das nun ändern. Gemeinsam mit 19 anderen afrikanischen Ländern will Äthiopien ein klares Zeichen gegen den Klimawandel setzen. Der Baum ist das Werkzeug dafür. Und die Verantwortlichen haben wissenschaftliche Unterstützung. Denn laut einer neuen Studie aus der Schweiz ist das Pflanzen von Bäumen die beste Art, das Klima zu retten.

Klimawunder Baum

So wie Thomas Crowther stellt man sich keinen klassischen Wissenschaftler vor – der 33-jährige Brite erinnert eher an einen jungen Indiana Jones. So leidenschaftlich wie der Filmheld über Archäologie redet, spricht Crowther über Bäume. An der ETH Zürich hat der Professor für Globale Ökosystemökologie eine Möglichkeit vorgestellt, den Klimawandel mit Bäumen zu bekämpfen – mit 1,2 Billionen Bäumen, um genau zu sein.

Der Plan klingt eigentlich ganz logisch: Ein Baum filtert CO2 aus der Atmosphäre, lagert den Kohlenstoff ein und gibt für uns lebensnotwendigen Sauerstoff an seine Umwelt ab. Je mehr Bäume es auf der Erde gibt, desto mehr Kohlenstoffdioxid wird also wieder eingefangen. 300 Gigatonnen CO2 mehr, als abgebaut werden kann, hat der Mensch bisher in die Atmosphäre geblasen, rund 200 Gigatonnen davon könnten 1,2 Billionen Bäume herausfiltern.

"Das ist mit Abstand die günstigste und effektivste Lösung, um dem Klimawandel zu begegnen", sagt Crowther. Weil junge Bäume beim Wachstum auch mehr Kohlenstoff einlagern als ältere Exemplare, würden sich die Effekte schon nach wenigen Jahren zeigen. Die Wende von Kohle und Gas zu erneuerbaren Energien muss natürlich weiterhin vorangetrieben werden, schließlich kommen jedes Jahr rund 37 Milliarden Tonnen menschengemachtes CO2 dazu.

"Das funktioniert nicht, ohne die CO2-Emissionen einzustellen", sagt Crowther. "Und so einfach, wie es klingt, eine Billion Bäume einzupflanzen, ist es auch nicht." Denn der Teufel steckt im Detail.

Der Waldplanet

1,2 Billionen Bäume. Das sind 1200 Millarden Setzlinge. Oder umgerechnet rund 157 Bäume pro Erdenbewohner. Die Frage ist: Wo sollen alle diese Bäume stehen? Doch der Ansatz von Thomas Crowther und seinem Team ist ein anderer. Die Forscher haben sich zunächst gefragt: Wie sähe unsere Welt aus, wenn es keine Menschen gäbe? Welche Teile der Erde wären heute von Wald bedeckt?

Von diesem theoretischen Waldplaneten ziehen die Wissenschaftler nun Flächen ab: wo bereits Wald steht, urbane und landwirtschaftlich genutzte Flächen. Übrig bleibt eine Fläche, ungefähr so groß wie die USA, die Wald haben könnte. Die Rechnung funktioniert nun umgekehrt: Diese 9 Millionen Quadratkilometer bieten Platz für eben jene 1,2 Billionen Bäume – die wiederum 200 Gigatonnen CO2 neutralisieren.

Das Problem ist aber: Nicht jeder Baum passt auf jeden Boden – und nicht jede Region ist für die Aufforstung geeignet. Die Forscher habe die nutzbaren Flächen in 78 000 je einen Hektar große Abschnitte unterteilt – und jeder dieser 78 000 Abschnitte wird individuell analysiert: Welche Nährstoffe bietet dieser spezielle Boden? Welche Mikroorganismen leben hier? Welcher Baum hat in diesem Boden die besten Überlebenschancen – und welche Art speichert in dieser Klimazone am meisten Kohlenstoff? Wie schwierig die Beantwortung dieser Fragen ist, zeigt sich in Deutschland, wo jahrelang auf den falschen Baum gesetzt wurde.

Der deutsche Baum

Deutschland ist heute nahezu komplett aufgeforstet. Keine einfache Aufgabe, die zu erfüllen war, schließlich war das Land im frühen 19. Jahrhundert fast vollständig entwaldet – der Rohstoff Holz wurden massenweise verheizt und verbaut. Bei der Wiederaufforstung setzten die Deutschen vor allem auf die Fichte, einen schnell wachsenden Nadelbaum, dessen Holz extrem vielseitig ist. Heute ist die Fichte der am meisten vorkommende Baum in Deutschland, dicht gefolgt von der Kiefer.

Zwei Baumarten, die schon bald aus Deutschland verschwinden könnten. Die Dürren von 2018 und 2019 haben Fichten und Kiefern extrem zugesetzt – rund 110 000 Hektar Wald wurden zerstört, das sind etwa 300 Millionen Bäume. Besser gewappnet ist die Buche. Sie ist der eigentliche deutsche Baum, früher gab es fast ausschließlich riesige Buchenwälder. Aufgrund ihrer Dichte ist die Buche auch ein besserer CO2-Speicher als die Fichte. Experten fordern daher für Deutschland einen zukunftsfähigen Wald, der aus verschiedenen Bäumen besteht.

Mischwälder sind resistenter und bieten eine vielfältige Biodiversität – ein Faktor, der in der Studie von Thomas Crowther einer große Rolle spielt. Ihm geht es nämlich nicht nur darum, den Klimawandel aufzuhalten, sondern auch, die biologische Vielfalt zu erhalten. Das gilt vor allem für die Tropen, wo das größte Potenzial für Aufforstung liegt: Dort wachsen Bäume viel schneller und sind immergrün – sie filtern also auch im Winter CO2. Doch weil noch ohne System gepflanzt wird, überleben nur 30 Prozent der Setzlinge. Die Arbeit von Thomas Crowther soll dort nun helfen – und damit der ganzen Welt.

Der Kreislauf der Erde

Die Welt befindet sich in einem eingespielten Gleichgewicht: Jedes Jahr stoßen Ozeane und Wälder CO2 aus – zusammen sind das rund 771 Gigatonnen Kohlenstoffdioxid. Im selben Zeitraum nehmen sie aber auch 788 Gigatonnen wieder auf. Das ist der sogenannte Kohlenstoffkreislauf. Die Natur hat damit der Menschheit quasi einen Puffer von 17 Gigatonnen eingeräumt. Sprich: 17 Gigatonnen menschengemachtes CO2 neutralisieren Wälder und Ozeane für uns.

Doch die Menschheit emittiert nicht nur 17 Gigatonnen, sondern 37 – also 20 Gigatonnen mehr, als Wälder und Ozeane aufnehmen können. Diese 20 Gigatonnen verbleiben in der Atmosphäre – und jedes Jahr kommen weitere 20 oder mehr hinzu. Heute haben wir 300 Gigatonnen CO2 zu viel im Umlauf. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, diesen Fehler im Kohlenstoffkreislauf wieder zu korrigieren. Wir reduzieren unseren CO2-Ausstoß oder erhöhen mit Bäumen die CO2-Aufnahme von Wäldern. Da wir aber selbst mit 1,2 Billionen zusätzlichen Bäumen maximal 200 Gigatonnen Kohlenstoffdioxid einfangen können, muss die Menschheit zwangsläufig ihren CO2-Ausstoß reduzieren.