Welt der Wunder

Unglaubliche Geschichte: Das versteht man unter der "Cannabis-Verschwörung"!

Das Kraut begleitet den Menschen, seit er denken kann. Die unglaubliche Geschichte des Hanf liest sich wie eine gigantische Verschwörungstheorie. Und doch ist sie wahr.

Cannabis-Blatt
Cannabis-Blatt Foto: iStock / Aleksandr_Kravtsov
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Uralte Heilpflanze der Menschheit

Über 30 000 Jahre ist Cannabis die bedeutendste Nutz- und Heilpflanze des Menschen – und hat dessen kulturellen Aufstieg immer wieder maßgeblich beeinflusst.

Doch Anfang des 20. Jahrhunderts gerät Hanf ins Fadenkreuz mächtiger Wirtschaftsmagnaten – und wird in einer beispiellosen Verleumdungskampagne geächtet und kriminalisiert.

Heute feiert Cannabis ein Comeback in der Wissenschaft – dank seines unglaublichen Potenzials für neue Medikamente und einer seltsamen Entdeckung im menschlichen Körper.

Der Mythos beginnt

16. Oktober 1933, Florida: Es ist später Nachmittag, als Beamten des Tampa Police Departments im Haus der Familie Licata fünf grausam zugerichtete Leichen finden, die Schädel zertrümmert mit einer Axt. Auf einem Stuhl hat sich ein junger Mann zusammengerollt.

Victor Licata ist 21 Jahre alt, trägt saubere und frisch gebügelte Kleidung. In der Nacht zuvor hat er seine Eltern, seine zwei Brüder und seine kleine Schwester im Schlaf erschlagen.

Es ist das grausame Verbrechen eines Geistesgestörten, das heute sicher längst vergessen wäre – hätte es nicht ein Mann namens Harry Anslinger zweckentfremdet.

Dem ehemalige Geheimagenten ist es egal, dass man bei Licata eine angeborene Schizophrenie diagnostiziert.

Für ihn zählt nur, dass er in dem Jungen, der angeblich manchmal Marihuana rauchte, den perfekten Vorwand gefunden hat, um endlich mit einer beispiellosen Lügenkampagne gegen Cannabis loszuschlagen – um es für viele Jahrzehnte zu ächten. Doch eins nach dem anderen ...

Zur Historie des Cannabis-Konsums

Die Geschichte der menschlichen Zivilisation ist eng mit der Nutzung von Cannabis verknüpft. Hanf-Fasern, die Forscher in der Dzudzuana-Höhle in Georgien fanden, zeigen, dass unsere Vorfahren schon vor mindestens 30 000 Jahren die Pflanze nutzten.

Die ältesten Cannabis-Funde Europas sind 5500 Jahre alt – und finden sich in der Nähe von Eisenberg in Thüringen. Hanf hat seitdem immer wieder die Entwicklung der Menschheit beeinflusst.

Der Untergang der eisengepanzerten Ritterrüstungen beispielsweise wurde auch durch den Langbogen eingeleitet – eine Waffentechnik, die ohne robuste Hanfsehnen undenkbar gewesen wäre.

Die Erfindung des Hanfsegels ermöglichte dagegen die moderne Schifffahrt und die Eroberung der Ozeane durch den Menschen, da sich der Stoff im Gegensatz zu z. B. Baumwolle nicht mit Wasser vollsaugt.

Nachdem 1545 spanische Einwanderer Cannabis mit in die "Neue Welt" bringen, steigt die Pflanze in Amerika zu einem Grundnahrungsmittel und wichtigen Wirtschaftsfaktor auf.

Hanf gilt in den jungen Vereinigten Staaten über 200 Jahre sogar als gesetzliches Zahlungsmittel, mit dem Steuern beglichen werden können.

Und auch die Verbreitung des wichtigsten Mediums der Neuzeit – Papier für Bücher, Briefe und Gesetze – wäre ohne Cannabis nicht denkbar gewesen.

Die Gutenbergbibel und die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung etwa haben gemeinsam, dass sie auf Hanfpapier gedruckt wurden. Bis in die 1880er-Jahre besitzt diese Papierart einen Marktanteil von bis zu 90 Prozent gegenüber dem Papier aus Holz.

Doch mit diesem Erfolg beginnt auch der Abstieg von Hanf als Nutzpflanze – oder besser gesagt: die böswillige Ächtung und Dämonisierung.

Wie führt man Krieg gegen eine Pflanze?

Harry Anslinger ist kein verblendeter Ideologe. Obwohl er wider besseren Wissens Victor Licata für seine Anti-Hanf-Kampagne zum "Marihuana-Mörder" erklärt hat, weiß er, dass von Cannabis in Wahrheit keine Gefahr für die Öffentlichkeit ausgeht.

Noch 1926 erklärt Anslinger, dass es „wahrscheinlich keinen größeren Irrtum gibt“ als die von konservativen Politikern behauptete Verbindung zwischen Cannabis und Gewalttaten.

Erst als er 1930 die Anti-Drogen-Behörde der USA (Federal Bureau of Narcotics) übernimmt, ändert er plötzlich seine Aussagen über Cannabis.

An die öffentliche Sicherheit denkt er dabei aber laut vieler Experten weniger. Vielmehr geht es um die Durchsetzung von wirtschaftlichen Interessen weniger mächtiger Männer.

Und diese Männer zögern nicht, aus Lügen ein verschwörerisches Netz zu weben, das den Umgang mit Cannabis für Jahrzehnte verändern wird.

Obwohl der Handel von berauschendem Cannabis (sog. "Indischer Hanf" mit hohem THC-Gehalt) schon seit 1925 auf internationaler Ebene verboten ist, arbeitet Anslinger fieberhaft daran, mithilfe einer systematischen Verleumdungskampagne auch den davon nicht betroffenen, traditionell in den USA angebauten Nutzhanf (THC-armer Hanf, der zur Fasergewinnung dient) zu verbieten.

Das gelingt ihm indirekt 1937 mit einer Art Strafsteuer (The Marihuana Tax Act) auf alle Hanfprodukte, da sich der Anbau von Hanf nun wirtschaftlich nicht mehr lohnt. Anslingers Motive dafür sind simpel: Er denkt an seine berufliche Zukunft im Federal Bureau of Narcotics.

Denn der illegale Konsum von Opiaten und Kokain ist damals in den USA noch kein großes Thema – und mit dem sich Anfang der 1930er-Jahre ankündigenden Ende der Prohibition droht seiner Behörde die Existenzberechtigung – und Anslinger die vielversprechende Karriereleiter – wegzufallen.

Lobby-Arbeit vom Feinsten

Er löst das Problem, indem er mit Cannabis ein neues Ziel für seine Verbotsbehörde erfindet. Dabei hat er von Anfang an einen mächtigen Verbündeten: William R. Hearst.

Der Eigentümer einer Zeitungskette und Erfinder der Yello Press flankiert die behördlichen, von Anslinger angeführten Angriffe gegen Hanf mit einer Hetzkampagne, indem er absurde Lügen über Marihuana-Konsumenten in seinen Zeitungen erfinden lässt.

Tatsächlich basieren z. B. Anslingers berühmten "Gore Files" (in etwa: „Blut-Akten“), in denen er angeblich 200 Echtfälle von "Marihuana-Morden" für Kongress-Anhörungen dokumentiert, laut einer Studie zu 100 Prozent auf Lügen aus den Hearst-Klatschblättern.

Die Frage, weshalb Hearst bei diesem schmutzigen Krieg gegen Cannabis mitmischt, ist schnell beantwortet: Er hat ein Vermögen in die aufkommende Holz-Papier-Industrie investiert und will deswegen das Hanfpapier aus dem Wettbewerb drängen.

Dritte mutmaßlich konspirative Kraft ist laut einigen Historikern die DuPont-Gruppe, einstmals der größte Sprengstoff- und Munitionsproduzent der Welt – und seit Anfang der 1930er Jahre stolzer Besitzer der ersten Patente für die Herstellung von Kunstfasern und von Papier aus Holz (Sulfitverfahren).

Um sich die Monopole in zwei der lukrativsten Märkte der damaligen Zeit zu sichern, muss der Pharma-Gigant – so der Vorwurf – nur eines erreichen: die Ächtung der natürlichen und nachwachsenden Hanffasern.

Vor diesem Hintergrund kann man es wohl auch kaum als einen Zufall bezeichnen, dass ausgerechnet der Besitzer des mächtigen Bankimperiums "Mellon Bank of Pittsburgh" und Finanzminister der USA, Andrew Mellon, nicht nur eine große Summe in die DuPont-Gruppe investiert, sondern auch den Ehemann seiner Nichte zum Chef der Behörde ernennt, die Cannabis vom legalen Markt vertreiben soll: Harry Anslinger.

Hier schließt sich der Kreis der Verschwörung, deren Auswirkungen vor allem für die medizinische Nutzung von Hanf bis heute eine schwere Hypothek sind.

Wie sehr die Ächtung von Cannabis vor allem die Medizin trifft, zeigt sich beispielhaft bei einem Treffen der "American Medical Association", die Anslinger besucht, um Werbung für seine Kampagne zu machen:

Comeback einer alten Heilpflanze

Die Vertretern der Pharma- und Arzneimittelindustrie greifen ihn scharf für seine Pläne an. Vergeblich. Für Jahrzehnte verschwindet Hanf beinahe vollständig von der medizinischen Bildfläche. Doch seit einigen Jahren feiert die uralte Heilpflanze ein erstaunliches Comeback.

Im Fokus stehen dabei zwei in der Pflanze vorkommende Stoffe – und eine seltsame Entdeckung im menschlichen Körper. Cannabinoide könnten sich in den nächsten Jahren zu einer echten Geheimwaffe der Medizin entwickeln.

Die Möglichkeiten, die sich aus dieser Wirkstoffgruppe – vor allem THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol) – ergeben, erscheinen nahezu unbegrenzt.

Und der Grund dafür liegt nicht in der Pflanze selbst – sondern in unseren Zellen. Wissenschaftler haben im Menschen das sogenannte "Endocannabinoid-System" entdeckt.

Das heißt: Unser Körper ist nicht nur in der Lage, Cannabinoide selbst herzustellen, sondern diese Stoffgruppe ist auch für unsere Körperfunktionen anscheinend elementar – da beinahe jede Zelle im Körper einen von zwei Rezeptoren besitzt, an die Cannabinoide andocken können (sogenannte CB1- und CB2-Rezeptoren).

Mittlerweile weiß man, dass Cannabinoide für viele Prozesse im Körper eine wichtige Rolle spielen. Docken bestimmte Cannabinoide z.B. an einen CB1-Rezeptor an, werden Prozesse gestartet, die Schmerzen lindern.

Das geschieht dadurch, dass eine Überaktivität im Schmerzregelkreis gehemmt wird.

Cannabinoide beeinflussen überdies die Koordination von Bewegungen, die Steuerung des Immunsystems oder der Gedächtnisleistung.

"Grob zusammengefasst, ist das körpereigene Endocannabinoid-System ein Ruhe-, Entspannungs- und Regenerationssystem des Körpers", erklärt Professor Sven Gottschling, Chefarzt am Zentrum für Palliativmedizin und Kinderschmerztherapie am Universitätsklinikum des Saarlandes.

Warum es keine Cannabis-Überdosis gibt

Ein einmaliger Vorteil der Cannabis-Wirkstoffe: Ihre Rezeptoren sind nicht in jenen Teilen des Gehirns zu finden, die für unser Überleben entscheidend sind – in den Steuerbereichen für Atmung und das Herz-Kreislauf-System.

"Auch bei extremen Überdosierungen kann es deshalb nicht zu Todesfällen kommen", erklärt Gottschling. Das ist vermutlich auch der Grund dafür, dass bisher kein Todesfall durch die Einnahme von Cannabis-Präparaten bekannt ist.

Ebenso sind kaum Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten bekannt, die durch die Einnahme von Cannabinoiden ausgelöst werden.

Und um das einmal klar zu sagen: Durch den ärztlich gesteuerten Einsatz von im Labor isolierten Cannabinoiden kann man weder "high" noch süchtig werden. Sogar das Führen eines Fahrzeugs ist erlaubt.

Die Bandbreite der modernen Cannabis-Medizin ist erstaunlich. "Ich erwarte mir relativ viel in der Zukunft in punkto Cannabinoid-Therapie, gerade bei Autoimmunerkrankungen", erklärt Experte Gottschling.

"Ich selbst behandle einige Patienten, z. B. auch Kinder und Jugendliche mit rheumatoider Arthritis oder mit chronischentzündlichen Darmerkrankungen.

Kiffen gegen Krebs

Zudem gibt es präklinische Daten in punkto Demenz oder mit Blick auf Antitumoreffekte – sogar schon in ersten Kleinststudien an Menschen, zum Beispiel mit Hirntumoren –, da Cannabinoide sogenannte Tumor-Escape-Mechanismen von Krebszellen behindern.

Es gibt auch Hinweise auf eine proapoptotische Aktivität von Cannabinoiden in Krebszellen – also sozusagen das Auslösen eines Selbstzerstörungsprogramms der entarteten Zellen."

Jahrzehnte nach seiner Verbannung könnte Cannabis auf diese Weise zum Helden gegen sogenannte Volkskrankheiten werden. Millionen Menschen leiden hierzulande an Reizdarm- oder Stress-Symptomen.

Eine Studie der University of Aberdeen in Foresterhill, Schottland zeigt nun, dass mithilfe von Cannabinoiden womöglich sogar die Säureproduktion im Magen verringert werden kann.

Und laut Professor Gottschling dient das "Endocannabinoid-System zur Erholung, der Wiederaufladung der Batterien – und dadurch durchaus der Angst- und Stressreduktion." So oder so entwickeln sich Cannabinoide zunehmend zu einem echten Game-Changer.

Doch wieder scheint der Erfolg der Cannabis-Pflanze nicht überall Freude auszulösen. Wie schon Anfang des 20. Jahrhunderts formiert sich Widerstand gegen den wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Boom – von unerwarteter Seite:

"Der Gesetzgeber hat hier erstmals die Krankenkassen gezwungen, nicht zugelassene Medikamente erstattungspflichtig zu machen. Das macht den Kassen Angst, weil damit die Therapiehoheit von den Kostenträgern zu den Ärzten wandert", erklärt Professor Gottschling.

In der Praxis bedeutet das, dass in vielen Fällen und trotz der Verordnung durch erfahrene Ärzte die Behandlung mit Cannabinoiden "von den Krankenkassen nicht durchgewunken wird, sondern sie sich mit all der ihnen zur Verfügung stehenden Macht dagegen auflehnen."

Den Siegeszug von Cannabis – da sind sich die meisten Experten sicher – wird man auf diese Weise jedoch nicht verhindern können.