Die neuen Geheimbünde Deutschlands

Cum-Ex-Mafia: Wie ein geheimes Netzwerk 82 Millionen Deutsche bestehlen konnte

Als Anna zu ihrem langweiligen Schreibtisch-Job geht, kann sie nicht ahnen, dass sie versehentlich ein geheimes Verbrechersyndikat aufdeckt und somit in Lebensgefahr gerät.

Ein Koffer voll Geld
Ein Koffer voll Geld Foto: iStock / fabiofoto
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Die Cum-Ex-Mafia

Mittwoch, 22. Juni 2011: Es ist ein grauer Morgen, als Anna S. ihr Büro im Erdgeschoss des Bonner Bundeszentralamts für Steuern betritt. Seit einem halben Jahr arbeitet die 30-Jährige in der Behörde. Auf ihrem Schreibtisch stapeln sich Akten – darunter auch ein Sammelantrag, in dem ein Fond eine Steuerrückzahlung von exakt 53 882 080 Euro fordert. Anna S. stellt fest, dass nur eine Person in den USA Begünstigter ist, und wird misstrauisch.

Anstatt die Auszahlung des Geldes zu bewilligen, bittet sie den Fond um weitere Informationen – und löst damit ein globales Erdbeben in der Finanzbranche aus. Sie ahnt nicht, dass sie gerade ein streng geheimes Verbrechersyndikat aufgedeckt hat, das sie schon wenig später ins Fadenkreuz nimmt...

Steuerbetrug im großem Stil: Cum-Cum-Geschäfte

Denn plötzlich meldet sich eine deutsche Anwaltskanzlei und versucht sie einzuschüchtern. Eine Amtshaftungsklage wird eingereicht. Die Anwälte drohen sogar, Anna S. persönlich zu belangen, wenn sie das Geld nicht auszahlt. Doch Anna S. lässt sich nicht einschüchtern. Sie gräbt weiter, informiert Kollegen, stößt auf Steuerbetrugsgebilde (sogenannte "Cum-Ex-Systeme"). Und tatsächlich fliegt alles auf.

Von Cum-Ex- oder Cum-Cum-Geschäften sprechen Experten, wenn Banker, Anlagenberater oder Börsenhändler den Staat mithilfe komplexer Verschleierungsmethoden dazu bringen, einmal gezahlte Steuern, doppelt oder mehrfach zurückzuerstatten.

Obwohl diese Praxis seit 1992 bekannt ist, kann sich die Cum-Ex-Mafia, die ihre Leute praktisch in allen Banken Europas sitzen hat, fast 20 Jahre im großen Stil an den Steuertöpfen bedienen. Vorsichtige Schätzungen der Bonner Steuerfahnder zeigen heute, dass allein zwischen 2001 und 2016 den deutschen Steuerzahlern rund 32 Milliarden Euro gestohlen wurden (europaweit 55 Milliarden Euro).

Die Täter sind und bleiben frei

"Tatsächlich handelt es sich um den größten Steuerraub in der Geschichte Europas“, sagt Steuerprofessor Christoph Spengel von der Uni Mannheim. Derzeit wird gegen 100 Banken ermittelt, darunter auch Landesbanken und Bankhäuser, die während der Eurokrise mit Steuermilliarden gerettet wurden.

Erst 2012, als der öffentliche Druck immer größer wird, entscheidet sich die Regierung, jene Gesetzlücken, die Cum-Ex-Geschäfte technisch überhaupt möglich machen, zu schließen. Obwohl die meisten Täter in Nadelstreifenanzügen bekannt sind (ebenso wie die Adressen der verwickelten Banken), wurde bis heute niemand für diesen Raubzug verurteilt.