Welt der Wunder

Wie ticken die bloß? Mit diesen Fragen lassen sich Fremde entschlüsseln!

Was sind seine wahren Absichten? Kann ich ihr vertrauen? Und welche Gemeinsamkeiten haben wir? Wer die Persönlichkeit eines Menschen entschlüsseln will, kann versuchen, die Körpersprache zu deuten, die Stimme zu analysieren und auf die Mimik zu achten. Oder man geht auf Nummer sicher – und stellt seinem Gegenüber exakt 36 Fragen. Tatsächlich kann jeder mithilfe dieser 36 Fragen in nur 45 Minuten erfahren, wie der andere wirklich tickt! Aber testen Sie es selbst …

Persönlichkeits-Test
Persönlichkeits-Test Foto: iStock / yacobchuk
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Eigentlich wollte der Psychologe Dr. Arthur Aron nur herausfinden, wie Menschen aufeinander reagieren – und wie sie sich verlieben.

"Als ich begann, gab es zu dem Forschungsfeld kaum eine wissenschaftliche Studie. Ich wollte jedoch beweisen, dass man den Prozess des Verliebens wissenschaftlich nachweisen kann", erinnert sich der Professor.

Professor entwickelt unschlagbaren Persönlichkeitstest

Zusammen mit seiner Frau, der Psychologin Elaine Aron, und einem Forscherteam von der State University of New York entwickelte er für diesen Zweck einen Katalog mit 36 Fragen. Im Anschluss ließen die Wissenschaftler zwei vollkommen Fremde einander gegenüber setzen und im Wechsel vorgegebenen Fragen stellen (die sie beide beantworteten).

Am Ende des Experiments sollten sich beide Gesprächspartner vier Minuten still in die Augen sehen. Das Ergebnis der Studie überraschte selbst die erfahrenen Forscher.

Tatsächlich verliebten sich bei der Beantwortung der Fragen nicht nur viele Probanden in ihr Gegenüber – sondern die Psychologen hatten vielmehr den Teilnehmern offensichtlich auch eines der effektivsten Werkzeuge der Menschenkenntnis in die Hand gegeben.

Die Entschlüsselung gelingt in unter einer Stunde

So konnten die Probanden die Persönlichkeit des anderen derart präzise entschlüsseln, dass sie innerhalb von gerade einmal 45 Minuten fast alles über dessen Geheimnisse, Träume und wahre Absichten herausfanden, und die beiden Fremden einander intimste Details aus ihrem Leben anvertrauten.

Dr. Aron konnte damit seine These belegen, dass der Austausch von persönlichen Informationen eine enge Beziehung zwischen den beiden Fremden herstellt.

Aber wie genau ist es dem Psychologen gelungen, dass sich Menschen derart nahe kommen? Welche Fragen brachen die Schutzhülle des anderen Ichs auf? Und warum ist die Reihenfolge so entscheidend?

"Je wohler sich jemand fühlt, desto mehr erzählt er"

Mittlerweile ist Dr. Arons Studie "The Experimental Generation of Interpersonal Closeness" die Grundlage für Hunderte andere psychologische Experimente und Persönlichkeitsstudien. "Wofür bist du in deinem Leben am meisten dankbar?", "Was ist deine schrecklichste Erinnerung?", "Welchen Gegenstand würdest du aus deinem brennenden Haus retten?"

In nahezu jedem Test sorgen die 36 Fragen bei den Probanden dafür, dass zwei fremde Menschen trotz kultureller oder sozialer Unterschiede innerhalb kürzester Zeit einander vertrauen, Gemeinsamkeiten entdecken und ihre wahren Charakterprofile zum Vorschein kommen.

Selbst Polizisten und Anwohner aus einem Problemviertel erzählten sich bei dem Experiment gegenseitig ihre Ängste und persönlichen Erfahrungen.

Mittlerweile nutzen selbst Verhörspezialisten den Test

"Durch die Beantwortung der Fragen fühlen sich die Teilnehmer mehr und mehr verbunden – auch wenn sie aus unterschiedlichsten Milieus kommen", erklärt Dr. Aron.

Ein Vorteil, den jetzt sogar Verhörspezialisten für ihre Arbeit nutzen. Statt wie jahrzehntelang üblich auf die Einschüchterung von Verdächtigen zu bauen, schaffen die Detectives mit der Methode der sogenannten High Value Detainee Interrogation Group eine möglichst freundliche Atmosphäre.

Sie nutzen auch Fragen wie in Dr. Arons Experiment, lassen ihr Gegenüber einfach erzählen und setzen es nicht unter Druck – auch wenn "Tatort"-Krimis gern mal andere Szenarien zeigen.

"Je wohler sich jemand fühlt, desto mehr erzählt er. Je mehr er erzählt, desto mehr Details gibt er preis. Und Details lassen sich überprüfen", erklärt der Verhörspezialist Greg Stearns.

"Wir haben gar nicht mitgekriegt, welch intime Dinge wir preisgaben. "

Als Mandy Len Catron von Dr. Arons Studie hört, ist sie dennoch skeptisch. Die Sprach-Dozentin an der University von British Columbia, Kanada, kann sich kaum vorstellen, dass die Antworten auf gerade einmal drei Dutzend Fragen wirklich ausreichen, um die Persönlichkeit eines Fremden zu entschlüsseln, geschweige denn, dass sie der Grundstein für eine Beziehung sind.

 Die Amerikanerin entschließt sich zu einem Selbstversuch – und trifft sich mit einem flüchtigen Bekannten vom Sport in einer Bar, wo beide den Fragenkatalog beantworten. "Die Fragen begannen unschuldig. Doch schnell wurden sie intim", sagt sie und vergleicht das Gespräch mit dem "Frosch im Kochtopf"-Experiment.

Der Frosch spürt gar nicht, wie das Wasser immer heißer wird – bis es zu spät ist. "Wir haben gar nicht mitgekriegt, welch intime Dinge wir einander preisgaben, bis wir mittendrin waren. So etwas dauert normalerweise Wochen oder Monate", erinnert sich Catron.

Der Schlüssel zur Dekodierung des Gegenübers liegt vor allem in der Reihenfolge der Fragen. "Wer zu schnell zu viel fragt oder von sich erzählt, der verunsichert seinen Gesprächspartner, sodass dieser instinktiv die Situation auflösen will.

Mit jeder Frage wird es persönlicher

Wer sich aber vorsichtig immer persönlicheren Details nähert, der erzeugt eine vertraute Atmosphäre, in der Menschen viel mehr erzählen, als sie eigentlich vorhatten", erklärt Dr. Aron.

Tatsächlich wird der Dialog, unterteilt in drei Abschnitte, mit jeder Frage wenige Nuancen persönlicher.

Von "Wen würdest du gerne einmal zum Essen einladen?" über "Wie beurteilst du deine Beziehung zu deiner Mutter?" bis hin zu "Vervollständige diesen Satz: 'Ich wünschte, ich hätte jemanden, dem ich erzählen könnte …'" geben beide Gesprächspartner unbewusst immer mehr Details über sich preis.

"Wir haben alle eine vorgefertigte, unverbindliche Geschichte, die wir Fremden erzählen", erklärt Catron. "Doch Dr. Arons Fragen machen es unmöglich, sich hinter dieser Fassade zu verstecken."

Kein Wunder, dass mittlerweile auch professionelle Interviewer und Starmoderatoren diese Methode und Fragen aus der Studie nutzen, um ihren Gesprächspartnern Geheimnisse zu entlocken, die sie eigentlich nie preisgeben würden.

Spätestens nach dem vierminütigen Augenkontakt spürten Catron und ihr Gegenüber dann, dass das Experiment tatsächlich funktioniert.

Sechs Monate später heirateten sie – und sind bis heute, drei Jahre nach dem Menschenkenntnisexperiment in der Bar, ein glückliches Paar – dank 36 unauffälliger Fragen und 36 ehrlicher Antworten …