Interview mit Heike Burmester

Expertin verrät: DAS sind die größten Probleme bei der Motivation von Hartz-IV-Empfängern

Die Hartz-IV-Politik und ihre Auswirkungen bleiben seit Einführung der Regelsätze vor fast 20 Jahren ein großer Zankapfel. Mit uns hat Expertin Heike Burmester über die größten Probleme diesbezüglich gesprochen.

Menschen im Arbeitsamt
Bei der Motivation von Hartz-IV-Empfängern gibt es oft Probleme (Themenbild) Foto: iStock/slobo
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Männersache: Wie stehen sie persönlich zu den Hartz-IV-Regelungen?

Heike Burmester: Ich denke, wir haben in Deutschland eines der sichersten Sozialsysteme der Welt. Hartz IV sichert den lebensnotwendigen Bedarf der Menschen, sodass diese im Grunde "den Rücken frei haben", in Eigenverantwortung für die künftige Gestaltung ihres Berufs- und Arbeitslebens zu sorgen.

Leider wird diese Verantwortung oftmals nicht selbständig umgesetzt, weil diese gern auf die Politik und die Jobcenter geschoben wird, wenn die eigenen Wunschvorstellungen nicht erfüllt werden (können), da oftmals die fachlichen und/oder persönlichen Voraussetzungen dafür fehlen.

Alternativen werden dann trotzig nicht einmal überdacht, obwohl diese durchaus vorhanden sind. Das System gibt für Beziehende von Hartz IV sämtliche, für sie kostenfreie, Möglichkeiten zur Verbesserung der individuellen Arbeits-, Bildungs- sowie Lebensumstände. Leider werden diese Möglichkeiten in Bezug auf "Regelungen" zu wenig nach außen propagiert und nur die, für die Bezieher, unangenehmen Themen kritisiert.

Nennen möchte ich hier die Kritik an Sanktionen, wenn z.B. Meldetermine unentschuldigt nicht eingehalten werden. Hier muss die Frage erlaubt sein, warum jemand bei Pflichtverletzung nicht sanktioniert werden sollte, während Arbeitnehmer, bzw. Selbstständige, also die Menschen, die dieses System mit ihren Steuerabgaben finanzieren, eben auch Abmahnungen und/oder kein Geld bekommen, wenn sie ihre Verträge nicht einhalten. Hartz 4 steht für eine Unterstützung und ist kein Privileg.

Männersache: Welches sind die größten Fehler, die diesbezüglich in den letzten knapp 20 Jahren von der Politik gemacht wurden?

Heike Burmester: Der größte Fehler besteht für mich darin, dass Menschen, die Jahrzehnte lang gearbeitet hatten und, aus welchen Gründen auch immer, in die Arbeitslosigkeit geraten sind, nach Ablauf des Arbeitslosengeldes I genau so viel oder wenig Geld erhalten, wie jemand, der wenig bis nie gearbeitet hat.

Hierzu braucht man von "sozialer Gerechtigkeit" nicht zu sprechen. Insbesondere deshalb nicht, weil Erstgenannte dieses System mit ihren Steuerzahlungen finanzierten.  Einen weiteren Fehler sehe ich im Ungleichgewicht von "Fördern und Fordern".   

Es wird gefördert, was das Zeug hält! Sei es durch die existenzielle Sicherung, durch Angebote der Bildungsmöglichkeiten zur Erhöhung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt, durch Coaching-Angebote u.Ä..

Die Forderungen jedoch, diese Angebote anzunehmen und/oder sich zumindest an Regeln zu halten, werden, nicht zuletzt auch von Politikern, oft als "menschenunwürdig" bezeichnet, was einer Verhöhnung der arbeitenden Bevölkerung gleicht.

Als "Fehler" möchte ich auch den Mindestlohn bezeichnen. Dieser öffnet für Arbeitgeber alle Türen, nicht mehr, als es der Mindestlohn verlangt, zahlen zu müssen. D.h., Fachkräfte werden verheizt, während arbeitsfähige Langzeitarbeitslose mit einem Minijob und nur einem Viertel der Arbeitszeit auf gleiche Einnahmen kommen.

Männersache: Mit welchen Problemen der Hartz-IV-EmpfängerInnen wurden sie als Motivationscoach am häufigsten konfrontiert?

Heike Burmester: Motivation braucht ein Motiv. Leider sehen viele arbeitsfähige Langzeitarbeitslose sich selbst nicht als Motiv, sondern beschäftigen sich eher mit selbsternannten Misserfolgen als mit dem, was sie erreichen könnten, wenn sie andere Wege beschreiten würden als bisher.

Meist bestehen Probleme, die im persönlichen und/oder familiären Bereich zu finden sind und daran hindern, sich mit den Möglichkeiten zur Veränderung auseinander zu setzen. Gestützt wird dieses durch Ängste, denn was man hat, das weiß man, was kommen kann, dem (ver)traut man nicht. Also wird auf dem Weg des geringsten Widerstandes geblieben, der zum Verbleib einlädt, wenn Angebote zur Veränderung angenommen werden können aber nicht angenommen werden müssen.

So gibt es, finanziert durch die Krankenkassen, Programme zur Gesundheitsprävention (physisch wie auch psychisch), die in Zusammenarbeit mit den Jobcentern erarbeitet wurden. Leider wird darüber nur selten informiert. Ob Arbeitsvermittler mit diesem Thema betraut sind, entzieht sich meiner Kenntnis.

Männersache: Aus ihrer Perspektive als Motivationstrainerin: Welche Punkte müssten dringend verbessert werden?

Heike Burmester: Es muss ein Bewusstsein darüber geschaffen werden, dass das Hartz-IV-System eine vom Steuerzahler getragene Unterstützung bis zur Verbesserung der Situation darstellt und nicht als Selbstverständlichkeit angesehen werden darf.

Entgegen der verbreiteten Formulierung "Das Jobcenter zahlt", muss klar gemacht werden, dass die Jobcenter das ausgezahlte Arbeitslosengeld II lediglich, durch vorher eingenommene Steuergelder, an die Bezieher weiter geben und diese Leistungen nicht in der hauseigenen Gelddruckerei herstellen. Die Möglichkeit der 1,50-Jobs sollten ebenfalls mehr genutzt werden, wenn diese auch verpönt sind, weil sie keine Arbeitsstellen auf dem 1.Arbeitsmarkt schaffen.

Für Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt kaum (mehr) eine Chance haben und voraussichtlich Dauerbezieher bleiben werden, sind das gute Möglichkeiten, der Gesellschaft in Gemeinnützigkeit etwas zurück zu geben und gleichermaßen in einer sich selbst verpflichtenden Struktur zu leben, welche ebenfalls der Gesundheitsprävention dient.

Männersache: Welches waren ihre einprägsamsten Momente in der Arbeit mit Hartz-IV-EmpfängerInnen?

Heike Burmester: Meine schönste Erinnerung gilt einer Frau, die sich nach 20jähriger Berufserfahrung in der Gastronomie im Bezug vom Arbeitslosengeld II befand, da ihre Arbeitsvermittler während des Bezuges vom Arbeitslosengeld 1. ihr gegenüber nicht besonders engagiert waren und sie selbst nicht mehr in der Gastronomie tätig sein wollte. Beruflich völlig desorientiert und demotiviert befand sie sind bei mir in einer sogenannten Aktivierungsmaßnahme.

In Motivationstraining fanden wir ihre Stärken heraus und arbeiteten daran, dass sie sich ihren Traumberuf der Krankenschwester erfüllen konnte. Durch erfolgreiche Praktika in unterschiedlichen Kliniken bekam sie in einer Klinik einen Ausbildungsplatz und hatte ihre Ausbildung im Alter von 43 Jahren mit Erfolg bestanden.

Meine negativste Erinnerung gilt einem Mann, 52 Jahre alt, Vater eines Kleinkindes, getrennt lebend, der seit vielen Jahren arbeitslos war. Äußerlich in einem desolaten Zustand, bewegte ich ihn zu einem "Körperhygieneprogramm" und stattete ihn, mit großer Unterstützung meiner Kollegen, mit getragener aber sehr gut erhaltener Bekleidung aus.

Meine Kollegin besorgte ihm einen Praktikumsplatz in einem Gartenbauunternehmen. Dort hatte er solch gute Arbeit geleistet und es dauerte nur wenige Wochen, bis er zum Unterzeichnen eines festen Arbeitsverhältnisses eingeladen wurde. Die Einladung nahm er an, lehnte es aber ab, den Arbeitsvertrag zu unterschreiben, da er einen Samstag im Monat für 5 Stunden arbeiten sollte. Er begründete es damit, dass durch die Samstagsarbeit sein Familienleben gestört sein würde.

Männersache: Was würden sie den politischen Entscheidungsträgern in Sachen Hartz-IV empfehlen? 

Heike Burmester: Ein anderes "Marketing". Sanktionen sollten nicht als Strafe, sondern als Konsequenz des Verhaltens geboten werden. Arbeitsfähige Langzeitarbeitslose sollten, bei Verweigerung von gebotener Arbeit mit Entlohnung über dem Regelsatz der Grundsicherung, zur gemeinnützigen Arbeit angehalten werden.

Somit können sie der Gesellschaft, von der sie leben, ein Stück zurück geben. Bei Überarbeitung der Hartz-IV-Gesetze sollten zur Beratung "Frontarbeiter" aus dem Bereich der geförderten Erwachsenenbildung (Sozialpädagogen und Coaches) hinzu gezogen werden, die aus Erfahrung und Erkenntnis arbeiten und nicht aus theoretischem Erahnen heraus.

Heike Burmester
Heike Burmester Foto: Heike Burmester

Heike Burmester im Porträt

Heike Burmester arbeitet seit 15 Jahren als Dozentin und Trainerin in der geförderten Erwachsenenbildung. Erfahrungen und Erkenntnisse aus ihrer Frontarbeit mit den Kunden und Mitwirkenden im Hartz-IV-System hat sie unter anderem in ihrem Buch "Tach, ich soll mich hier melden!" niedergeschrieben.